DIE FRAUENTRACHT

Im Bereich der Mädchen- und Frauentrachten ist fast das gesamte Kleiderzeremoniell aus dem 19. Jahrhundert überliefert. Es gab Trachtenteile für jeden Anlass und Lebensphase. Die Bestandteile und Schnitte der verschiedenen Trachten waren immer gleich. Sie variierten lediglich in der Stoffart und Farbe. Im Folgenden wird zunächst die Festtracht besprochen, die nur zu wenigen Anlässen im Jahr getragen wurde und die auch heute noch aus allerfeinsten und hochwertigen Materialien gearbeitet wird.

Für den Sommer gab es bunte Brokatröcke und im Winter trugen reiche Bauersfrauen und deren Töchter dicke Plüschröcke. Bei der Kleidung war den sonst sparsamen Probsteiern nichts zu teuer. 

Die Feströcke sind im oberen Teil aus gemustertem Seidendamast gefertigt. Die Stoffe erinnern an die Textiltapeten in den herrschaftlichen Schlössern. Die Röcke sind unten mit schwarzer Seide besetzt und innen ist schweres Leinen ein-genäht, damit die Röcke einen guten Fall haben und beim Tanzen ordentlich schwingen.

RÖCKE &
SCHÜRZEN

Die Seidenröcke haben eine Weite von 4,2 bis 4,5 Meter. Rote Röcke waren die Mädchenröcke, blaue oder grüne Röcke waren die Feströcke der verheirateten Frau. 

Am Festtag oder beim Tanz konnte man an der Schürzenfarbe den Familienstand der Trägerin ablesen. Die Mädchen tragen zum roten Rock weiße Leinenschürzen. Die Verlobten tragen ebenfalls zum roten Rock blaue Seidenschürzen und die Ehefrauen tragen zu den blauen bzw. grünen Röcken schwarze Seiden-schürzen. Die Schürzen sind eine Handbreit kürzer als die Röcke. Diese Regelung galt aber nur für diese besonderen Tage. Am Alltag, Sonntag oder kirchlichen Feiertagen gab es andere Vorschriften.

RUMP & HEMDMAUEN

Der Rump ist innen mit Leinen gefüttert und wir mit Haken und Ösen geschlossen. Am Rump sind die großen achteckigen Silberknöpfe befestigt, die neben Schürzenschließen, Gürtelschnallen und weiteren Silberknöpfen den charakter-istischen Schmuck in der Probstei darstellen. Zwölf Knöpfe gehörten an ein Festmieder. Die Knöpfe wurden nach einer für alle Frauen festgelegten Anordnung auf den farbigen Teil des Rumps befestigt. Rock und Rump werden mit Haken und Ösen zusammengehalten und es bestand so die Option unterschiedliche Rumps und Röcke zu kombinieren.

Die Oberhemden der Frauen- und Mädchentrachten werden „Hemdmauen“ genannt. Sie sind aus Leinen in unterschiedlichen Qualitäten gefertigt.   Unter den kurzen Hemdmauen trugen die Probsteierinnen früher ein knielanges ärmelloses Unterkleid, das „Hemdschört“ genannt wurde. Die Staatshemden sind an den Ärmelbündchen und an den Schultern mit Plattstickereien oder Zierstichen aus weißem Garn verziert. Der Verschluss geschieht mit silbernen Doppelknöpfen oder handgearbeiteten Leinenknöpfen bei den einfacheren Hemden.

Die Probsteierinnen tragen als Mieder den so genannten „Rump“, eine knappe kurze Weste, die im unteren Bereich mit einer Stickerei oder einen Seidendamast besetzt ist.  Der obere Teil besteht aus Seide.

Der Anlass bestimmte, ob Mauen aus groben oder feinerem Leinen angelegt wurden. Die Hemdmauen selbst sind ein kurzes Leibchen, an dem die weiten Ärmel befestigt sind.

Einzelne Elemente der Frauentracht und ihre historische Bedeutung:

DER WAMS:

Zum Ausgang tragen die Probsteierinnen nach Biedermeiermode gefertigte Wämster (Jacken). Diese Wämster waren aus Seide gefertigt und von der städtischen Mode sehr beeinflusst. Sie sind recht kurz, ähnlich einem Bolero und meist aus farbiger Seide gearbeitet. Es werden auch Varianten aus karierter oder dezent gestreifter Seide getragen. Die Farben variieren von grün und blau zu Brauntönen oder violett. An einem Festwams sind zwölf filigrane Silberknöpfe befestigt und dokumentieren erneut den Reichtum der Probsteier Bauern.

DIE HÜLL:

Auf dem Kopf wird ab der Konfirmation die „Hüll“ getragen. Diese Haube ist von Grund aus Pappe und mit Leinen gefüttert. Zur Stützung der Form ist unter dem Haubenfleck ein Flachszopf eingenäht. Außen ist die Hüll mit schwarzer Seide bezogen und oben ist ein längsovaler Haubenfleck aus Gold- und Silberstickerei mit Glassteinen und Applikationen eingesetzt. Die Hüll bedecke, selbst wenn die Frau verheiratet war, das Haar nicht vollständig, was in allen Trachtengebieten eine Ausnahme darstellt.

SÖBEN MARKS DOOG:

Am Festtag werden in der Probstei seidene Tücher getragen. Es handelt sich hier um das „Adler- oder Rosentuch“ ein 80 mal 80 cm großes fransenloses Tuch, das in seiner Grundfarbe rot, gelb, grün oder blau, über ein andersfarbiges Randmuster aus eingewebten Rosen und Zweigen verfügt und in dessen Ecken ein Doppeladlermotiv eingewebt ist. Es sind zahllose Farbvarianten bekannt, die zu unterschiedlichen Anlässen und dem Lebensalter entsprechend getragen wurden. Das Tuch hat um 1840 einst sieben Mark gekostet und wird deshalb in der Probstei „Söben Marks Doog“ (Sieben Marks Tuch) genannt.

SCHUHE & STRÜMPFE:

Zu den Festtrachten werden weiße Kniestrümpfe aus Baumwolle getragen, die in Handarbeit gestrickt wurden. Viele Strümpfe weisen aufwendige eingestrickte oder gestickte Monogramme auf. Dazu werden schwarze Halbschuhe oder Pantoffeln getragen.
 

HAARTRACHT:

Alle Frauen und Mädchen tragen in der Probstei die traditionelle Kranzfrisur. Dazu wir das Haar zusammen mit farbigem Seiden- oder Samtband in zwei Zöpfe geflochten und um den Kopf gelegt. Die Bändern werden am Hinterkopf zu einer Schleife gebunden. Das Frisieren übernahmen im 19. Jahrhundert Tagelöhnerfrauen, die „Flechtfru“ genannt wurden. Die Haare wurden damals zweimal in der Woche frisch frisiert.

NACHMITTAGSTRACHT:

Am Alltag, zum Ausgang ins Dorf oder zur leichten Hausarbeit tragen die Probsteierinnen die als „Nachmittagstracht“ in der Region bezeichnete Tracht. Diese Variante der Tracht ist aus gröberen Stoffen wie Wolle und Leinen gearbeitet. Der sehr schwere und dicke, leuchtend rote Rock ist oben aus einer Art Beiderwand gearbeitet und wird als „Schienig“ bezeichnet, was hellrot bedeutet. Der Besatz ist aus blauem Leinen. Der Rump ist aus simpleren Stoffen hergestellt und diese Stücke mussten waschbar sein. Die blaue Leinenschürze und die Hemdmauen, die auch blau sein können, vervollständigen die Nachmittagstracht. Zur Feldarbeit tragen die Frauen noch einen Strohhut. Die handgewebten Rockstoffe gab es für ältere Frauen auch noch in weiteren Varianten.
 

DIE BRAUTTRACHT:

Die Brauttracht aus der Zeit um 1840 unterscheidet sich nicht wesentlich von der Festtracht, außer dass der Rock aus schwarzem Seidendamast ist und die blaue Verlobungsschürze zur Trauung noch einmal angelegt wird. Es werden zudem die allerfeinsten Kleidungsstücke und der wertvollste Schmuck angelegt. Auf dem Kopf trägt die Braut die Brautkrone, die im Pastorat gegen Gebühr ausgeliehen wurde. Es gab dort drei Varianten in unterschiedlicher Ausführung und zu verschiedenen Preisen (3, 4 und 5 Mark). Die reichsten Bräute trugen selbstverständlich die teuerste Krone zu fünf Mark. Das gesamte Trachtenwesen hat mit der Dokumentation des Standes und der wirtschaftlichen Situation der Träger oder deren Familien zu tun.

DIE ABENDMAHLSTRACHT

Beim Gang zum Tisch Gottes kann es nur eine Grundfarbe der Tracht geben und die heißt schwarz in allen Haupttrachtenteilen. Eine Abendmahlstracht setzt sich aus einem schwarzen Rock aus Seidendamast, Wolldamast oder Plüsch, der schwarzen Seidenschürze für alle Familienstände und einem Rump aus schwarzem Samt oder schwarz-weiß karierter Seide zusammen. Dazu werden schwarze Wämster und eine Hüll mit einem Haubenfleck aus schwarzem Samt getragen. Um den Hals tragen die Probsteirinnen das Söben Marks Doog in schwarz-weiß. Bei der Abendmahlstracht werden die weißen Strümpfe und die weißen Hemdmauen beibehalten. Die Abendmahlstracht unterschied sich von der Trauertracht dadurch, dass glänzende Seidenstoffe verwendet werden durften, während die Trauertracht aus stumpfen Schwarz bestehen musste.

In der Probstei gibt es weitere Trachtenvarianten, wie Konfirmations- oder Sonntagstracht. Gegen 1855 wird die Probsteier Tracht modisch überformt und erhält ein weitgehend städtisches Aussehen, mit modischer Jacke und der damals angesagten Krinoline. Um 1880 wird dann auch diese Tracht abgelegt. Die alte Festtracht von 1840 ist aber bis heute immer wieder zu besonderen Anlässen getragen worden.

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